Bindungs- und Familientherapeutin, Autorin, Podcasterin, Speaker, Unternehmerin, Business Angel Katharina…
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ToggleDiese Kolumne ist Teil des Specials “Mom Shaming”
Die „Müttermafia“
„Hast du schon gehört, xy ist schon wieder Mutter geworden. Ich bin ja mal gespannt, wie sie das hinbekommt. Bei dem Job wird sie die Doppelbelastung nicht lange durchhalten. Ich wette, sie gibt auf und wird eine von diesen frustrierten Frauen, die nur noch in Jogginghosen am Spielplatz das Kind hin und her schaukeln und deren Ehemänner mit Jüngeren fremdgehen.”
„Oder sie wird eine von denen, die ständig nur auf Achse ist, ihr Kind nur am Wochenende sieht und es irgendwann mit Ritalin vollstopfen muss, um es überhaupt durch die Schule zu kriegen. Manche Frauen sollten einfach keine Kinder bekommen.”
Neulich las ich diesen Kommentar auf einer öffentlichen Facebookseite. Zu diesem Zeitpunkt gab es sage und schreibe 256 Likes und 54 weitere Kommentare dazu. Die „Müttermafia“ hat es durch Social Media geschafft, eine Bühne für Diffamierung, öffentliche Beleidigungen und Verurteilung zu erschaffen, vor der keine Mutter sicher ist.
Jede Bemerkung, die uns als Mutter degradiert, sitzt präzise und schmerzhaft, wie der Faustschlag eines Profiboxers, egal ob in den sozialen Netzwerken, im Foyer des Kindergartens oder am Sonntagstisch von der Schwiegermutter.
Was genau ist Mom-Shaming
Mom-Shaming bedeutet, dass eine Mutter aufgrund ihrer Entscheidungen und Lebenseinstellungen im Hinblick auf ihr Kind, von anderen ungerechtfertigt kritisiert, verurteilt, ungebeten zurechtgewiesen, belehrt, beschimpft, benachteiligt oder gar diffamiert und ausgegrenzt wird.
Dabei unterscheide ich ungerechtfertigtes, unreflektiertes und völlig unnötiges Mom-Shaming und jenes, das wir betreiben, wenn wir einen inneren und völlig gerechtfertigten Aufschrei fühlen, weil ein Kind offensichtlich und tatsächlich in seinem seelischen und körperlichen Wohl gefährdet ist.
Diese Art von Mom-Shaming ist ein weit verbreitetes Virus, dessen Ausmaße in der Gesellschaft tabuisiert und großteils ignoriert werden. Mom-Shaming ist Mütter- Mobbing de luxe und keine von uns ist davor geschützt. Vor allem in den sozialen Netzwerken fühlt sich die Müttermafia dazu aufgerufen, anderen Frauen durch herablassende Kommentare, oftmals ungefragt, ihre Meinung kundzutun und die mütterliche Entscheidung der Einzelnen in ein schlechtes Licht zu rücken.
Aber auch die Gesellschaft und Politik betreibt, meist unwissend, Mom-Shaming.
Immerhin verzichtet jede Mutter mit der Entscheidung für ein Kind im Vergleich zum berufstätigen Vater des Kindes nicht nur auf einen Teil ihrer Rentenansprüche, sondern auch auf einen Großteil ihrer Karrierechancen. Es hat einen Grund, warum von den 11% aller Frauen in den Führungsetagen der großen Konzerne – ohnedies wenig genug – lediglich 2% Mütter sind.
Diese Zahlen zeigen, wie schwer es für Frauen in unserer Gesellschaft ist, die Rolle der Mutter mit der Erfüllung eigener Visionen und beruflichen Zielen zu verbinden.
Niemals hätte ich auch nur annähernd gedacht, wofür und auf welche Weise Mütter als Zielscheiben und Sündenböcke herhalten müssen, sobald irgendetwas mit ihrem Kind „nicht stimmt“ oder sie in den Augen Dritter als Mütter „versagen“. Die Mutter wird, wie damals zu Zeiten der Inquisition, ohne Anwalt, ausreichende Kenntnis oder Hintergrundwissen, laienhaft und augenblicklich auf den Scheiterhaufen gestellt, sobald das Kind aus der gesellschaftlichen Norm fällt oder entschieden wird, sie würde sich falsch verhalten.
Wen betrifft Mom-Shaming?
Mom-Shaming betrifft uns tatsächlich alle und es kann jederzeit und an Orten, an denen wir uns bisher geschützt fühlten, stattfinden. Denn die Müttermafia, wie ich Menschen nenne, die ungefragt und unangemessen Müttern Ratschläge erteilen, macht vor nichts und niemandem halt.
Mom-Shaming wird in unserer Gesellschaft großteils deshalb tabuisiert, weil sich wenige Frauen trauen, öffentlich darüber zu sprechen, wenn sie verletzt oder verurteilt wurden. Die Angst, als Mutter nicht den gesellschaftlichen Anforderungen zu genügen und damit zu versagen, beweist das Schweigen vieler Frauen. Ähnlich einem Trauma.
Wenn etwas im Leben passiert, was uns einfach zu viel ist, versuchen wir, es so schnell wie möglich loszuwerden.
Los werden wir es, so denken wir, wenn wir aufhören, darüber zu sprechen. Daher findet wenig bis kaum Aufklärung statt. Mom-Shaming betrifft uns jedoch immer alle und es ist dringend notwendig, darüber zu sprechen und zwar öffentlich, ausführlich und fundiert.
Denn nur so können wir ein Bewusstsein dafür schaffen, wie sehr eine junge Mutter und letzten Endes auch ihr Kind darunter leidet, wenn sie verurteilt oder in ihrer mütterlichen Kompetenz in Frage gestellt wird.
Während ich in den letzten 17 Jahren intensiv daran gearbeitet hatte zu verstehen, warum die Müttermafia andere Frauen diffamiert und verletzt, lernte ich mit der Zeit, ihr sicher und selbstbewusst zu begegnen.
Dennoch trafen mich vor allem während der Schwangerschaft und ersten Zeit nach der Geburt unbedachte Kommentare Fremder, aber auch mir nahestehender Menschen immer wieder wie Messerstiche ins Herz. Gerade, in diesen Zeiten, wenn wir Frauen sehr sensibel und angreifbar sind, schmerzt Mom-Shaming enorm und nimmt schnell ein ungeahntes emotionales Ausmaß an, dessen sich die Müttermafia vermutlich gar nicht bewusst ist.
Besonders unangenehm sind kritische Stimmen vor allem dann, wenn sie von Menschen kommen, denen wir eigentlich vertrauen und die wir lieben. Es tut einfach nur weh, wenn jemand meint, besser über uns und unser Kind Bescheid zu wissen, als wir es tun. Vor allem dann, wenn wir uns ohnedies unwahrscheinlich viel Mühe geben, reflektiert sind und nur das Beste für den Menschen möchten, den wir am meisten lieben: unser Kind. Was Mütter sich heutzutage alles anhören müssen, wofür sie sich erklären, rechtfertigen und verteidigen müssen, ist nicht nur mehr einfach Spaß, sondern eine ernstzunehmende Angelegenheit, die dringend öffentliches Gehör finden muss.
Ein paar Mom-Shaming Beispiele gefällig?
Ein kleiner Auszug von übergriffigen Fragen, die meist ohne Vorwarnung kommen und meist folgender Kommentar als Antwort der Momshamer zu finden ist:
Keine verantwortungsvolle Mutter macht so etwas!
Warum postest du Bilder von deinem Kind?
Wieso gehst du nicht zu jeder Vorsorgeuntersuchung? Bzw. wieso zu so vielen?
Warum impfst du? Bzw. warum nicht?
Warum arbeitest du so viel? Bzw. so wenig?
Wieso hast du abgestillt? Bzw. stillst noch immer?
Warum willst du einen Kaiserschnitt? Bzw. doch keinen? (K)eine PDA, eine
Geburtshaus oder eine Hausgeburt?
Wieso willst du trotz Fehlgeburt noch ein Kind, oder eben nicht?
Warum hast du als Mutter keine Lust mehr auf Sex, oder eben so viel?
Wieso gibst du dein Kind so oft zur Betreuung ab, oder eben so wenig?
Warum bekommst du erst jetzt ein Kind oder hast noch keines?
Warum lässt du dich jetzt scheiden, oder nicht? Das wird deinem Kind schaden!
Auf den ersten Blick scheinen das harmlose Fragen zu sein. Fragen, die viele Menschen meinen, eben mal einer Mutter stellen zu dürfen. Doch blicken wir dahinter, erkennen wir relativ schnell, dass solche Fragen selten neutral sind und die Antwort oftmals gar nicht abgewartet wird, weil diese bereits vorgefertigt aus dem Mund des Absenders prasseln und den O-Ton: „So etwas macht eine verantwortungsvolle Mutter nicht“ in sich birgt. Der Kommentator meint, er könne sich selbstverständlich das Recht herausnehmen, mit seinen Anmerkungen die mütterliche Kompetenz infrage zu stellen und erlaubt sich vorschnell ein Urteil.
Es scheint, als gäbe es kaum noch Grenzen, wenn es um Mutterschaft geht. Jeder denkt, es stünde ihm oder ihr zu, einfach mal drauflos, die eigene Meinung zu äußern, ohne Rücksicht auf Verluste.
Im Grunde haben wir vergessen, dass es nicht darum geht, der Mutter bestimmte Entscheidungen abzunehmen, Handlungsempfehlungen auszusprechen oder Erziehungsmethoden anzuraten, sondern sie darin zu bestärken, die Fähigkeit zu entwickeln, eigenständig und in Zusammenarbeit mit Experten Entscheidungen für sich und ihr Kind treffen zu können. Wir sollten sie und einander ermutigen, dieser herausfordernden Zeit der Mutterschaft mit Selbstvertrauen, Mut und Freude begegnen zu können. Dies gelingt einer Mutter jedoch nur dann, wenn sie, neben eingehender Beratung von Expertinnen, über ein gesundes Selbstvertrauen und dem Draht zu ihrer inneren mütterliche Kompetenz verfügt, dem sie vertrauen kann.
Fakten von der Redaktion
Stop Mom Shaming – Warum wir aufhören sollten, Mütter zu verurteilen
Mütter sind oft einem hohen Maß an Urteilen und Kritik ausgesetzt. Von der Art und Weise, wie sie ihr Kind erziehen, bis hin zu ihren Entscheidungen bei der Arbeit und in ihrer Freizeit – es scheint, als ob jede Entscheidung von anderen beurteilt wird. Dieses Phänomen wird als “Mom Shaming” bezeichnet und hat negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden von Müttern und ihren Familien.
Hier sind einige Statistiken, die zeigen, wie weit verbreitet das Problem ist:
- Laut einer Umfrage von Today.com gaben 42% der Mütter an, dass sie in den letzten Monaten Mom Shaming erlebt haben.
- Eine Studie des Pew Research Center ergab, dass 70% der Mütter sagen, dass sie sich in der Öffentlichkeit beurteilt fühlen, wenn sie mit ihren Kindern unterwegs sind.
- Eine weitere Studie des National Women’s Health Network ergab, dass 78% der Mütter sich gestresst fühlen, wenn sie mit anderen Müttern interagieren, aufgrund der Angst vor Beurteilung und Kritik.
- Die meisten Mom-Shaming-Erfahrungen konzentrieren sich auf das Thema Stillen. Laut einer Umfrage von Lansinoh gaben 72% der Mütter an, dass sie Mom Shaming erlebt haben, weil sie nicht gestillt haben oder nicht genug gestillt haben.
- Eine weitere Studie des Journal of Family Psychology ergab, dass Mom Shaming auch Auswirkungen auf das Wohlbefinden von Kindern hat. Kinder von Müttern, die Opfer von Mom Shaming waren, hatten ein höheres Risiko für emotionale Probleme.
Es ist wichtig, dass wir als Gesellschaft aufhören, Mütter zu verurteilen und stattdessen Unterstützung und Empathie bieten. Indem wir das Mom Shaming bekämpfen, können wir dazu beitragen, dass Mütter und ihre Familien glücklicher und gesünder leben
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Bindungs- und Familientherapeutin, Autorin, Podcasterin, Speaker, Unternehmerin, Business Angel Katharina Pommer ist als erstes von vier Kindern 1980 in Wien geboren und wuchs auf dem Bauernhof ihrer Eltern auf. Ihre Mutter arbeitet als Psychotherapeutin, während ihr Vater als Event-Manager für Künstler und Politiker sein Geld verdient. Ihre Eltern nahmen sie regelmäßig mit, weshalb sie schon früh zum Einen mit schwerst Alkoholikern und deren Therapie, sowie mit Persönlichkeiten aus der Kultur- & Politik-Szene in Kontakt kam. Den Umgang mit Menschen – v.a. in Extremsituationen – erlernte sie dementsprechend schnell. Bestell dir das Buch zur Kolumne: Stop MomShaming https://amzn.to/2KLF7Xl