Stories von wunderbaren Frauen aus unserer Community.
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ToggleNot ready, not steady, but go! // Mein Päckchen
Ich war zarte zwei Jahre, als ich meine erste große Reise unternahm. Im Reisegepäck unserer Familie: einige Kleidungsstücke, wenige Fotos, eine große Portion Ungewissheit und noch mehr Hoffnung. Außerdem die Geschichte und das Trauma von über 400 Jahren: Auswanderung, Verfolgung, Arbeitslager, Hunger und das Überleben in einem Erdloch namens zu Hause irgendwo im Nirgendwo. Da waren wir nun 1991, meine Eltern etwa so jung wie ich heute, als meine Familie beschloss, aus der ehemaligen UDSSR, dem fernen Kasachstan, in die neue und alte Heimat Deutschland auszuwandern. Neues Land, neue Kultur, neue Sprache gepaart mit der russischer Seele, die wir am Flughafen nicht zurückgelassen hatten. Russlanddeutsche nennt man uns hier. Ich kann bis heute nur erahnen, was das alles bedeutet hat. Auch für mich. Es dauerte einige Zeit und ein paar Wohnheime, bis wir unseren Platz fanden, in Siegen und in der Gesellschaft. Letzteres gelang einem Teil meiner Familie nie so richtig.
Ich war ein fröhliches Kind mit einem klaren Willen. Ich bin mit meiner besten Freundin auf Bäume geklettert und habe mit Kreide auf der Straße gemalt. In der Schule lief es gut. Ich war ein normales Kind, meine Kindheit war es nicht. Denn neben den Dingen, die eine „normale“, eine schöne Kindheit so ausmachen, gab es auch viel Angst, Sorge, alleine klarkommen, Gewalt, Missbrauch, Trauma, nicht drüber reden. Diese Verhältnisse haben mich stark gemacht oder sollte ich besser sagen hart? Denn die Gefühle habe ich weggesperrt, ich war hart zu mir selbst und meinen vermeintlichen Schwächen. Sensibilität, Zartheit und Verletzlichkeit habe ich verbannt. Ich wusste irgendwann nicht mehr, dass ich sie habe. Oft tat ich cool, obwohl ich unsicher war und ich habe eine dicke Mauer gebaut, um mich zu schützen und mit dieser Maske ging ich fortan durch die Welt. Tief darunter verbargen sich Glaubenssätze wie: Ich bin nicht gut genug, ich bin nicht wichtig, ich bin nicht wertvoll, ich bin nicht liebenswert, Verletzlichkeit ist Schwäche, ich muss immer stark sein, die Bedürfnisse der anderen sind wichtiger als meine und so weiter.
Ich war unfähig, meine Emotionen zu erkennen. Ich war unfähig, meine Gefühle zu verstehen. Ich war unfähig, meine Bedürfnisse zu befriedigen. Ich war unfähig, mich von anderen abzugrenzen. Ich war unfähig, frei und echt zu sein. Ich war unfähig, vollkommen ich selbst zu sein.
Schon in jungen Jahren, eher noch zart und leise, beschäftigten mich die Fragen:
Wer bin ich? Warum bin ich so, wie ich bin? Und warum sind die Menschen so, wie sie sind? Mit der Zeit sollten diese Fragen immer lauter werden und auch noch einige dazu kommen. Antworten suchte ich zunächst in Horoskopen und Persönlichkeitstests. Und verstand ich mich dadurch tatsächlich etwas besser, verändert hat sich aber nichts.
Entwurzelung // Noch ein Päckchen
Mit 15 dann der Umzug weg aus NRW, meiner Heimat und meinen Freunden, meinem Leben und meiner Identität, in ein kleines Dorf in Brandenburg. Dies versetzte mir einen heftigen Schlag. Emotional am Boden zerstört, machten sich auch bald körperliche Symptome bemerkbar. Quälende Nackenschmerzen, die mich noch eine ganze Weile begleiten würden. Anderthalb Jahre später war die Oberschule endlich beendet: Mein Ticket in die Freiheit. Mit 17 nahm ich also den ersten Zug zurück nach Siegen und versuchte mich dort im Erwachsenenleben. Ziel war irgendwie ein „geregeltes Leben“ und so machte ich mein Abitur und dann meine Ausbildung bei der Sparkasse, die mir bald nicht genug war. Denn neben dem Wunsch nach Stabilität gab es da eben auch diesen starken Drang nach Freiheit, Selbstverwirklichung und Abenteuer. Ich suchte nach MEHR. Dieses „mehr“ erhoffte ich mir als Au Pair in Amerika zu finden.
Doch wie sagt man so schön, erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Ich verliebte mich und landete statt in Manhattan, New York, in Ludwigsburg bei Stuttgart. Und es ging alles so schnell und ich war so verliebt, dass ich gar nicht begriff, wo meine Muster, Glaubenssätze und das Universum mich hin gebracht hatten. Abgesehen davon hatte ich von diesen Dingen damals noch gar keine Ahnung. Es schien auf den ersten Blick alles super. Ich bekam einen Studienplatz für Tourismusmanagement, war mit 22 Jahren das erste Mal richtig verliebt und hatte das Gefühl, nun im Erwachsenenleben angekommen zu sein. Geregelt. Stabil.
Dass der wesentlich ältere Mann an meiner Seite neben seiner sehr charmanten, liebevollen und fürsorglichen Seite auch eine cholerische, hochgradig eifersüchtige und narzisstische Seite hatte, habe ich lange nicht realisiert. Wenns schön war, wars richtig schön und wenns scheiße war, wars RICHTIG scheiße. Also verbog ich mich und tat viel, um Harmonie zu wahren und entfernte mich mehr und mehr von mir selbst und von allen anderen Menschen, die ich kannte. Dies brachte mir viel Zeit alleine und die Möglichkeit, mich mehr mit mir selbst zu beschäftigen, wenn auch noch eher unbewusst. Mein Körper war mir stets ein treuer Wegweiser. Getrieben von meinen schon seit sieben Jahren anhaltenden Nackenschmerzen, nun auch fast täglichen Kopfschmerzen und ein paar anderen Problemen, begann ich, mich über die verschiedensten Bereiche mit meiner Gesundheit auseinanderzusetzen: Ernährung, Bewegung, Kraft der Gedanken, Traumatologie, Psychologie, Gesetz der Anziehung, Verhaltenswissenschaft, Philosophie. Fast fünf Jahre blieb ich in dieser Beziehung, bis ich endlich, nach dem besagten letzten Tropfen, den Mut und die Kraft hatte, zu gehen. Von heute auf morgen packte ich alle meine Sachen und verschwand auf Nimmerwiedersehen.
Turning point // Zeit zum Auspacken
Mittlerweile war meine Familie von Lieberose nach Berlin gezogen und so strandete ich Ende 2016 mit 27 Jahren in Berlin auf der Couch meiner Mutter. Nicht geregelt. Nicht stabil. Mitten in meiner Bachelorarbeit, nicht mal Internet oder ein eigenes Zimmer.
Davon abgesehen keine Kohle und keine Perspektive. Emotional ziemlich am Arsch. Aber seit langer Zeit endlich wieder frei. Priceless. Allen Widrigkeiten zum trotz und mit den Nerven ganz schön am Ende beendete ich mein Studium.
And again: Freiheit! Ich hörte auf mein Herz, das sagte: nimm dir Zeit. Das tat ich. Ich nahm mir richtig viel Zeit für mich, begann damit, mich kennenzulernen und überlegte, was ich nun mit meinem Leben anfangen wollte. Nur eines war mir wirklich klar: nine to five – nein danke! Ich befasste mich also sehr intensiv mit mir selbst und beantwortete mir nach und nach Fragen wie: Was macht mich wirklich glücklich? Wie stelle ich mir mein Leben vor? Wofür interessiere ich mich wirklich?
Ich spürte, dass dieser Neuanfang, so dramatisch und hoffnungslos er sich anfühlte, eine große Chance für mich war. Bislang hatte meine Leben sich „eben so ergeben“, diesmal aber wollte ich es nicht dem „Zufall“ überlassen, sondern selber die Zügel in die Hand nehmen und aktiv werden. Ich wollte weiter studieren und zwar etwas, für das mein Herz schlägt.
Ich begann mit der inneren Arbeit und mir wurde bewusst, dass Psychologie, der Mensch und das Thema Gesundheit meine absoluten Lieblingsthemen sind. Mit diesen Erkenntnissen fühlte ich mich großartig, denn zum ersten Mal war ich bewusst Schöpfer und Entscheider anstatt Teilnehmer oder Opfer meines Lebens. Ich habe die feste Überzeugung, wenn ein Mensch dem Leben zeigt, dass er/sie mehr will und auch etwas dafür tut, setzt sich das Leben aktiv für diesen Menschen ein und leitet und hilft ihm/ihr, um zu finden, wonach dieser Mensch sucht und zu bekommen, was er/sie braucht.
Los geht’s // Die wilde Fahrt
Es begann eine wilde Fahrt für mich, die noch andauert. Erster Halt: Masterstudiengang Wirtschaftspsychologie, fast angekommen, nahm mich das Leben bei der Hand und führte mich in eine andere Welt. In die Welt der Selbstständigkeit, des Netzwerkens, des Unternehmertums. Eine faszinierende Welt, mit der ich bislang nicht in Berührung gekommen war. Ich besuchte viele Veranstaltungen, Seminare und lernte unglaublich viele interessante und inspirierende Menschen kennen. Gleichzeitig tauchte ich auf eigene Faust kopfüber tiefer und tiefer in die Welt der Selbstfindung, Heilung, Spiritualität, Traumata Bewältigung, Persönlichkeitsentwicklung, inneren Wahrheit und fand endlich Antworten auf die Fragen: Wer bin ich? Warum bin ich so, wie ich bin? Und warum sind die Menschen so, wie sie sind? Ich arbeitete meine Traumata auf, löste mich von Blockaden und Mustern wie Minderwertigkeit, der Angst vor Ablehnung, fehlendem Selbstvertrauen und baute eine starke, liebevolle und wahrhaftige Beziehung zu mir auf. Die Ausbildung bei der holistischen Mentorin Christine Hofmann rundetet 2019 diese Entwicklung ab und setzte eine neue berufliche Perspektive. In dieser Ausbildung lernte ich, wie ich andere Menschen auf ihrem Weg in ein erfülltes und gesundes Leben begleiten und unterstützen kann.
In kurzer Zeit hat sich mein Leben komplett verändert. Mein Umfeld, meine Ernährung. Meine Gewohnheiten. Meine Denkweise. Achtsamkeit, Yoga und Meditation gehören heute in meinen Alltag. Ich kenne und lebe mich wirklich. Und weißt du was? Ich habe gelernt, mich zu lieben, so wie ich bin, einschließlich aller meiner Gefühle und Gedanken. Und so simpel und selbstverständlich sich das anhört, weiß ich, dass es für sehr viele eine der größten Herausforderungen ist und gleichzeitig der Grund für viele Probleme. Ich habe Frieden geschlossen mit meiner Vergangenheit und mit mir selbst. Allen, einschließlich mir selbst, vergeben. Mein Mindset und meine Perspektive bezüglich meiner gesamten Lebensgestaltung einschließlich beruflicher Möglichkeiten hat sich sehr verändert, geöffnet, würde ich sagen. Am wichtigsten aber ist, dass sich mein tägliches Bewusstsein und damit mein Sein und Wirken verändert haben.
Ich will ehrlich mit dir sein, diese Zeit war und ist nicht immer einfach und ich bin so stolz auf mich, durch all diese Emotionen, Schatten und Themen gegangen zu sein. Es kann schmerzhaft sein, wenn man „Dingen“ ins Gesicht blickt, die man lange verdrängt hat, aber die Frage ist doch: Welchen Schmerz willst du spüren, den Schmerz der Veränderung oder den Schmerz zu bleiben, wo du bist, als Opfer deiner Vergangenheit, in Sorgen um die Zukunft, das Hier und Jetzt nicht (er)lebend?
Auf dieser Reise zu mir selbst hatte ich immer wieder Menschen, Helfer, Heiler, Mentoren und Coaches, die mich weitergebracht haben. Diese Zusammenarbeit war stets goldwert und wenn es mir nicht sofort DIE Lösung gebracht hat, brachte es mir immer weitere Puzzleteile der Lösung. Der Mensch ist ein soziales Wesen und wir sind so viele, damit wir gemeinsam schaffen. Das Leben erscheint häufig in der Gestalt anderer Menschen, um uns zu lenken. Durch die Verbindung mit anderen verhalf mir das Universum, meine Vision für mein Leben zu kreieren. Durch die Verbindung mit anderen verhalf mir das Universum zu meiner Mentorenausbildung und zum Mut, mich selbständig zu machen. Mein Weg soll dich ermutigen und meine Erfahrung und meine Fähigkeiten dir helfen, deine Wahrheit zu finden, dich selbst. Mir hat mein Weg gezeigt, dass es nichts Wichtigeres gibt, als die Vergangenheit aufzuräumen, zu erkennen, wer man wirklich ist, was man wirklich will und dann sein Leben danach auszurichten. Vollkommen du sein und endlich echt leben.
P.S.: Gerne hätte ich diese Geschichte etwas amüsanter verfasst, denn auch davon gab es viel in meinem Leben – aber das ist eben die nüchterne Kurzfassung. Ich will dich trotzdem gerne wissen lassen, dass ich für ALLES sehr dankbar und sehr glücklich bin, für genau dieses Leben hergekommen zu sein. Ich bin noch lange nicht am Ende meiner Reise und sehr gespannt, was das Leben für mich noch bereit hält.
Story by Christina Bäcker
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