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Zwischen Stethoskop und Start-up: Von der Tierärztin zur Tech-Unternehmerin

Zwischen Stethoskop und Start-up: Von der Tierärztin zur Tech-Unternehmerin

Stefanie Engelke
a group of women standing around a white board

Ich bin Tierärztin und junge Unternehmerin. Zwei Berufszweige, die man so erstmal nicht erwartet. Doch wie passt das zusammen und wie ist das passiert?

Der Weg zur Tiermedizin

Ich bin der klassische Kindheitstraum: Ich bin Tierärztin und wollte es immer sein. Den Tierärzten, denen ich aufgrund unserer Haustiere und Schulpraktika begegnet war, haben sich über meinen Berufswunsch verhalten gefreut. 

“Man müsse lang und hart arbeiten”, hieß es, “oft auch in der Nacht und am Wochenende und man braucht viel Flexibilität und Rückenwind”. Sprüche, die man mit dem Beruf Tierarzt verbindet. Der Job sei herausfordernd für eine junge Frau aus der Stadt. Denn das war ich – geboren und aufgewachsen in Berlin. Mich haben diese Sprüche nur  angespornt “ jetzt erst recht”. Ich wollte mich nur allzu gerne beweisen und es allen zeigen.


Im Abi habe ich zwar kurzzeitig für Auslandskorrespondent geschwärmt und war sogar in der renommierten Schülerzeitung >Moron< an unserem Gymnasium. Ich erkannte aber schnell, dass für das Ausland mein Sprachtalent nicht ausreicht. Wie ich Investigativjournalistin werden kann, wusste ich auch nicht. Als die Stunde der Wahrheit kam, bewarb ich mich für einen Platz in den fünf tiermedizinischen Fakultäten in Deutschland, anstatt herauszufinden wie ich Journalistin werden könnte. Ein guter Beruf, habe ich gedacht, mit dem ich meinen Kindheitstraum leben kann: Denn ich wollte schon ganz früh mal ein eigenes Pferd besitzen.

Der Zufall wollte, dass ich für einen Auswahltest der Freien Universität Berlin eingeladen wurde und ihn bestand. Wie die meisten Studienbeginner war ich voller Euphorie und Dankbarkeit. Die Realität holte uns alle schnell auf den Boden der Tatsachen: Es folgten 5 Jahre straffes Lernen und Ausdauer sowie wenig Platz für die Persönlichkeitsentfaltung. Anatomie lernen im Präpariersaal am konservierten Tier, die Lehre der verschiedenen Körpergewebe am Mikroskop und viele weitere Fächer aus den Büchern. 

Der Tenor war immer: “Sei fleißig, mach, was Dir gesagt wird, und engagiere Dich, damit Du ein brauchbarer Tierarzt wirst.“ Denn wenn Du von der Uni kommst, fängt deine Lehrzeit am lebenden Tier erst richtig an. Denn im studentischen Praktikum, welches dafür ausgelegt ist, praktische Fähigkeiten zu erlernen und selbstverständlich unentgeltlich erfolgt, wurde ich nicht nur einmal gefragt, ob ich den Boden wischen kann – Lehrstunden musste man sich häufig mit Hilfsarbeiten verdienen. 

Traumberuf Tierarzt?

Zur ganzen Wahrheit der Tiermedizin gehört, dass es lange Zeit bis in die 70er Jahre ein rein männergeprägter Beruf war. DER Tierarzt versorgte alle Tiere in der Umgebung, die Ehefrau hielt ihm den Rücken frei, damit er Mittagessen auf dem Tisch hatte und gewaschene Kittel. Damit er rund um die Uhr, auch nachts und am Wochenende, verfügbar sein kann. Oft machte die Ehefrau noch das Büro der Praxis und übernahm die Reinigungsarbeiten. Nicht jede Ehe hielt das aus. 

Ab den 80ern kam dann ein relativ schneller Wandel: Aus anfänglich ein paar Frauen sind mittlerweile 90 % Frauenanteil in den Studiengängen geworden und bereits 71 % in der Berufsausübung.  Die Frauen zeigen, was sie können und machen auch vor der Großtierpraxis nicht halt. Aber die  alten Strukturen sind geblieben und die Tiermedizin kämpft noch heute mit dem Branchenwandel und den “alten Dinosauriern”. 

Auch so manche Frau ist in dem System ein alter Dinosaurier geworden. Wer in die Praxis kommt, ist mittlerweile egal. Hauptsache er oder sie arbeitet hart und viel. Arbeitszeiten existieren nur auf dem Papier und am besten ist es, wenn der Assistent nicht zu viel auf sich hält. Dann läuft er nicht weg und man kann ihn bei der Bezahlung im Zaum halten. Es sei gesagt, dass Betriebswirtschaft und Führungskultur bis heute nicht zum Lehrplan der Tiermedizin zählen.

Als Freigeist und geprägt von einem Musikerelternhaus war mir schnell klar, dass ich das nicht will. Ich arbeite zwar sehr gerne, aber brauche dafür auch Anerkennung. Das System “Tiermedizin” war für mich zu kaputt und keine Lösungen in Sicht. Die Menschen in dem System hören zu wenig zu und sind zu wenig dazu bereit, sich zu verändern. Studien zeigen ein viermal höheres Suizidrisiko bei Tierärzten, verglichen mit anderen Berufen. Der Druck ist verdammt hoch. Depressionen verbreitet.

Ein zweites Standbein musste für mich her

Nach den ersten erhellenden und realen Einblicken in die Tiermedizin, wollte ich mir frühzeitig ein zweites Standbein aufbauen. Nur so aus dem Bauch heraus. Ich entschied mich für eine Promotion und hatte wieder mal ein bisschen Glück, als ich als Zweitbesetzung eine Stelle am Forschungsinstitut für Nutztierbiologie in der Nähe von Rostock mit phänomenal guter Betreuung von meiner Doktormutter Prof. Metges und Gürbüz Daş erhielt. 

In 3,5 Jahren stellte ich fest: Wissenschaft kann ich, will ich aber nicht. Trotz Perspektive am Institut blieb es bei der Promotion. Ich wollte doch eigentlich in die Praxis…

Endlich Praxis, endlich zum Tier

Zum Ende der Promotion war ich, trotz aller Umstände, hungrig auf die tiermedizinische Praxis. Ich wollte so richtig loslegen und allen und vor allem mir beweisen, dass ich lang und hart arbeiten kann, auch in der Nacht und am Wochenende. Und auch, dass ich dem Druck in der Praxis standhalte. Dem mentalen, emotionalen und körperlichen Druck.

Wie es der Zufall wollte, lernte ich, während mein Arbeitsvertrag am Institut auslief, einen tollen Mann kennen. Er war noch nicht lange in Rostock und wurde von seinem alten Arbeitgeber in der Schweiz mit einem spannenden Angebot zurück gelockt.
Mein Entschluss stand schnell fest: Wir probieren das gemeinsam und ich komme nur allzu gerne mit! Die Schweiz ist für ihre hohen Tierwohlstandards bekannt und ich war Feuer und Flamme, dort als Tierärztin zu arbeiten. Vielleicht würde mich das ja auch dem eigenen Pferd etwas näher bringen.

Also folgten 2,5 Jahre in einer typischen Landpraxis in der Schweiz wie aus dem Bilderbuch. Um es vorne wegzunehmen, es war wunderbar zu sehen, wie dort mit Tieren umgegangen wird und was für Menschen ich begegnet bin. Ich habe viele schöne Momente in der Selbstverwirklichung als Tierärztin erlebt, habe vielen Kälbern und Lämmern auf die Welt helfen dürfen. Ich habe als Hausärztin für Hunde und Katzen praktiziert und im Notdienst die Kolik von Pferden behandelt. Ich habe Unmengen an Bauernhofkatzen kastriert. Ich habe den Freuden und Sorgen der Landwirte und Tiereltern zugehört. Ich bin aber auch an meine Grenzen gekommen und hatte Zweifel über Entscheidungen, die ich mit wenig Berufserfahrung allein fällen musste. 

Die erwähnten strukturellen Probleme der Tiermedizin waren aber auch in der Schweiz  vertreten:
Zu Hause war ich wenig. Private Ausflüge mit meinem Freund waren immer mit viel Planung verbunden. Als angestellte Tierärztin lag mein Wochenpensum bei etwa 60 bis 65 Stunden. Wann oder ob ich abends nach Hause kam, war oft ungewiss. Die hingenommene Dauerunterbesetzung im Team und dazu die beklemmende Führung der Praxisinhaber machten eine längere Zusammenarbeit für mich unmöglich. Und weil es bei mir gerade passte, entschieden mein Freund und ich uns für Nachwuchs. Wir durften uns glücklich schätzen, dass alles reibungslos klappte. Weil es mir so gut ging und ich Freude daran hatte, bin ich auch erst 9 Wochen vor dem Entbindungstermin in den Mutterschutz gegangen. Die Schweiz macht das auch für Tierärztinnen möglich. Feste Arbeitszeiten, den Verzicht auf Nachtdienste und die Streichung von Großtieren in meinem Arbeitsalltag setzte letztendlich meine Frauenärztin im 4./5. Schwangerschaftsmonat gegenüber meinem damaligen Chef durch. Sie drohte ihm, mich sonst arbeitsunfähig zu schreiben. 

Gläserne Decken und mentale Mauern

Wann der erste Gedanke zur eigenen Ausgründung kam, weiß ich gar nicht mehr so genau. Aber nachdem unser kleiner Zwerg das Licht der Welt erblickte, war klar, dass 65-Stunden-Wochen nur schwer umsetzbar sind. Zudem bahnte sich Corona den Weg nach Europa und wir entschieden, als Familie zurück nach Deutschland in die Nähe unserer Familien zu ziehen. Die Ideenschmiede in meinem Kopf fuhr Achterbahn, aber ich wusste, dass ich meine Erfahrungen und meine Expertise als Tierärztin zukünftig weiter nutzen und gleichzeitig meinen Hunger nach mehr Selbstbestimmung stillen möchte.

Ein anderer Entschluss als die Selbstständigkeit, hätte es fast gar nicht sein können. Ich grübelte zunächst darüber, die Arbeitsbedingungen für Tierärzte zu verbessern, Strukturprobleme anzugehen und den Weg zur Digitalisierung zu ebnen. 

Damit war ich aber nicht die Einzige und es arbeiteten bereits qualifizierte Firmen an der Umsetzung, die deutlich mehr von Workflow, Betriebswirtschaftslehre und Software-als-Service verstanden. 

Worin ich aber richtig gut bin, ist es  Tierbesitzern empathisch bei ihrem Problem zur Seite zu stehen und sachlich Vorsorgethemen, Krankheitsbilder und Therapieoptionen zu erklären. Langsam wuchs das heutige Konzept, Tiereltern eine digitale Betriebsanleitung für ihr Tier zu geben. Die Idee einer App für Haustierbesitzer war geboren.

Ein bisschen Startkapital habe ich aus der Schweiz mitgebracht und setzte alles auf eine Karte: Vollgas in die Gründung. 

Der Schlüssel zur Umsetzung zeigte sich in meinem Talent zu Netzwerken, meiner Hartnäckigkeit und einem guten Riecher für Menschen. Vom Gründen und Unternehmertum hatte ich keinen blassen Schimmer. Aber es machte mir Spaß und ich lernte tolle Weggefährten kennen, wie meine heutige Mitgründerin, Fabienne Morio! 

Als Mutter und Partnerin, stellt sich irgendwann die Frage, wie lange man die Mehrbelastung ohne eigenes Einkommen mit weniger Zeit für die Familie tragen kann. Was können wir leisten? Die Antwort lieferte zunächst meine zweite Schwangerschaft, die mir gleichzeitig etwas Zeit zum Konzeptionieren der Geschäftsidee verschaffte.

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Viel erreicht und noch viel mehr vor 

Mein wunderbares Leben erlaubt mir das, was viele nicht können: darüber nachzudenken, was ich will und wie ich meine Ressourcen einsetzen möchte. Dass es Sinn machen kann, mehr zu wollen und sich nicht mit einer guten Lebenssituation zufrieden zugeben, weil es die Gesellschaft uns Frauen so beibringt. Ich habe einen Partner und eine Familie, die an mich glaubt und die mir den Raum zur Selbstverwirklichung lässt. 

Ich bin sehr dankbar dafür. Einfach ist es trotzdem nicht immer. Wer sollte aber sonst in diese Vorbildrollen schlüpfen, wenn es nicht die privilegierten Frauen sind, die überhaupt die Lebensgrundlage mitbringen, eine Gründung zu vollziehen oder als Vorständin tätig zu sein?

Ich kann für meine Töchter ein Vorbild sein, ihre Möglichkeiten auszureizen und nicht irgendwann einfach so aufzuhören. Am Ende kochen alle nur mit Wasser. Frauen haben lange nicht zur Tiermedizin gehört und nun gehört ihnen die Tiermedizin!

 

Drei Jahre und zwei Kinder später haben mein Team und ich eine GmbH gegründet. Wir haben private Investoren gefunden, die an uns als Gründerteam glauben. Ob wir unsere Betriebsanleitung fürs Tier erfolgreich auf die Straße bringen, wissen wir noch nicht: first lvl pets kommt 2025 ganz frisch auf den Markt. Ich bin glücklich und stolz darauf. 

Den Tierärzten bleibe ich vorerst ehrenamtlich in der Berliner Tierärztekammer erhalten und stelle regelmäßig unbequeme Fragen zur Verbesserung der Arbeitssituation (Es bewegt sich was!) und für andere Zukunftsthemen sowie für mehr Tierschutz in Deutschland. Denn da haben wir auch noch ganz viele Hausaufgaben zu machen, um Tieren eine Stimme zu geben.

 

Für das eigene Pferd reicht es bei mir aktuell immer noch nicht. Also kann es nur eine Richtung geben: Weitermachen!

 

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